Im Juli 2015 wundert sich Stefan Gmünder, Literaturressortleiter der Wiener Tageszeitung „Der Standard“, anlässlich der Besprechung einer Neuausgabe von Karl Tschuppiks autobiografisch grundiertem Roman „Ein Sohn aus gutem Hause“, wie „eine der schillerndsten und streitbarsten Persönlichkeiten der Zwischenkriegszeit […] dermaßen in Vergessenheit geraten konnte“.[1] Knapp vierzig Jahre zuvor hatte Hans Weigel mit der Aufnahme dieses ursprünglich 1937 im Amsterdamer Exilliteratur-Verlag Allert de Lange erschienenen Abgesangs auf die Habsburgermonarchie in die von ihm im Styria-Verlag herausgegebene Reihe „wiedergefunden“ versucht, Tschuppik wieder ins Gedächtnis einer breiteren Öffentlichkeit zu rufen.[2]

1998 eröffnet Konstanze Fliedl ihre Anthologie „Das andere Österreich“, eine Galerie, die Autoren ins Licht rückt, die – jenseits von Österreich-Verklärung und Österreich-Beschimpfung – jeweils quer zu den herrschenden Zuständen ein „anderes Österreich“ entwarfen, das „weder illusionär noch allzu utopisch“ war, mit Karl Tschuppik, „ein[em] brillante[n] – und heute weitgehend unbekannte[n] – Wiener Feuilletonist[en] böhmischer Herkunft“.[3]

In der Disposition von Friedrich Achbergers – durch dessen Unfalltod am 23.9.1984 bedauerlicherweise Torso gebliebenem – Projekt „Österreichische Literatur 1918–1938. Kommentar zu einer Epoche“ firmiert im Kapitel „Exil und Vor-Exil“ unter dem Stichwort „Exil als Heimkehr“ neben Robert Musil, Alfred Polgar, Anton Kuh und Hermynia Zur Mühlen auch Karl Tschuppik.[4]

Seit 1982, seit Klaus Amann 62 Artikel des „streitbaren Bohemiens“ (so der Titel des Vorworts) in einem Band versammelt und herausgegeben hat – motiviert als Wiedergutmachung an einem völlig zu Unrecht in Vergessenheit geratenen „Unbequemen“[5], der in der Zeit zwischen den Kriegen couragiert vor der Gefährdung der Demokratie und des Parlamentarismus, vor der Zerstörung der europäischen Zivilisation warnte –, kommt, wer sich mit den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der österreichischen Zwischenkriegszeit beschäftigt, an Karl Tschuppik (1876 Hořovice / Horschowitz, Böhmen–1937 Wien) eigentlich nicht vorbei. Eigentlich. Denn während seine Monografien in den vergangenen Jahren nicht nur auf Deutsch wiederaufgelegt wurden, sondern auch in englischer, französischer, spanischer, russischer, italienischer, tschechischer und polnischer Übersetzung erschienen sind, ist der journalistische Teil seines Werks immer noch unzugänglich, weil, soweit bis dato (Stand: April 2022) absehbar, auf etwa 75 Druckorte verstreut.

Diesem Missstand wird nun abgeholfen. Zunächst mit der Erstellung einer Personalbibliografie im Rahmen des FWF-Projekts „Karl Tschuppik: Biobibliographische Grundlagensicherung“ / „Karl Tschuppik—a bio-bibliographic approach“ (FWF-Projektnummer P 32360-G, Laufzeit: 1.7.2019 bis 30.6.2022, Projektleiter [und einziger wissenschaftlicher Mitarbeiter]: Walter Schübler). Anhand dieser Personalbibliografie wird eine kommentierte Ausgabe von Tschuppiks journalistischem Werk erarbeitet, um dieses der Scientific Community sowie einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich und verfügbar zu machen – ein offenkundig dringendes Desiderat. Ein Antrag auf Finanzierung dieses Projekts wird Ende April 2022 beim FWF eingereicht.


[1] Stefan Gmünder: „Wir herrschen nicht, die anderen dienen“. Eine Erinnerung an Karl Tschuppik, dessen Roman „Ein Sohn aus gutem Hause“ im Milena-Verlag wiederaufgelegt wurde. In: Der Standard, 18./19.7.2015, S. 30.

[2] Karl Tschuppik: Ein Sohn aus gutem Hause. Graz, Wien, Köln 1977.

[3] Konstanze Fliedl: Eins nach dem anderen. Ein Nachwort. In: Dies. (Hg.): Das andere Österreich. Eine Vorstellung. München 1998, S. 195-221, hier S. 209.

[4] Friedrich Achberger: Fluchtpunkt 1938. Essays zur österreichischen Literatur. Hg. von Gerhard Scheit, mit einem Vorwort von Wendelin Schmidt-Dengler. Wien 1994 (= Antifaschistische Literatur und Exilliteratur – Studien und Texte, Bd. 12), S. 201.

[5] Klaus Amann: Karl Tschuppik – Der streitbare Bohemien. In: Karl Tschuppik: Von Franz Joseph zu Adolf Hitler. Polemiken, Essays und Feuilletons. Hg. und eingeleitet von Klaus Amann. Wien, Köln, Graz 1982, S. 9-30, hier S. 11.