Eine Stütze des Prager Deutschtums

In Prag ist dieser Tage eines der angesehensten Mitglieder der dortigen deutschen Gesellschaft, Doktor Friedrich Kaufmann, gestorben und mit allen Ehren, die man dem Andenken eines mächtigen Mannes dort zu spenden pflegt, bestattet worden. Dr. Kaufmann war Präsident der Böhmischen Unionbank, Vizepräsident der Prager Advokatenkammer, Verwaltungsrat der Pečeker Zuckerraffinerie, Verwaltungsrat der Vereinigten Carborundum- und Elektrizitätswerke A. G., Verwaltungsrat der Rothau-Neudecker Eisenwerke, Rechtsanwalt zahlreicher Industrieunternehmungen und reicher Familien – die Vereinigung so vieler machtvoller Positionen genügte, in einer Gesellschaft, die nur den Reichtum schätzt, Ansehen und Geltung zu sichern.

Die Prager deutsche Gesellschaft, die sonst sehr intolerant ist, vergaß in diesem Fall, was sie nie vergißt, daß der Erfolgreiche ein Sohn armer Eltern gewesen. Die Falliments und materiellen Nöte so vieler Familien, die zum Bereich der Böhmischen Unionbank gehören, beweisen zwar, daß das Prager Geld-Deutschtum in der dritten Generation dort endet, wo es angefangen hat, aber diese Tatsache vermag die Devise dieses Finanz- und Industrieadels nicht zu erschüttern, der zum Nachweis der Ebenbürtigkeit die Abstammung des Geldes von der zweiten Generation verlangt. Dr. Kaufmann blieb der Nachweis erspart, dank der Verschwägerung mit einer Familie, deren Besitz die dem Codex der Prager Gesellschaft entsprechende Anciennität besaß. Seine advokatorische Begabung, seine Anschmiegsamkeit und das Talent, die jeweils vorteilhafte Gesinnung mit Würde und Biedermannstum zu tragen, taten das übrige, ihn zu einem beliebten, angesehenen und geachteten Mann in der Prager deutschen Gesellschaft zu machen. Es wäre, käme sonst nichts dazu, an den Nekrologen, die ihm die Prager deutschen Blätter widmen, nicht zu mäkeln.

Da findet sich aber in dem Nachruf der „Národní listy“, des Organs Dr. Kramařs, ein Passus, der rühmend hervorhebt, der Verstorbene habe in der Zeit des Umsturzes als Präsident der Prager Advokatenkammer den Treuschwur zur tschechoslowakischen Republik dem Minister Rašin in tschechischer Sprache geleistet, ein Umstand, der den damaligen Machthabern der Republik den Gedanken nahegebracht habe, Dr. Kaufmann ein Ministerportefeuille anzutragen. Man muß Reminiszenzen, die an einem Grabe aufgefrischt werden, nicht schwerer nehmen, als sie sind, und wär’s nur um Dr. Kaufmanns Andenken, dann könnte man über diese Erinnerung ruhig hinweggehen. Aber die Reminiszenz ist charakteristisch für das Prager Kasino-Deutschtum, charakteristisch für die Unaufrichtigkeit einer Geste, die die Intransigenz so gut mit dem Vorteil zu vereinen versteht.

Der Schreiber dieser Zeilen, der in den kritischesten Tagen des Krieges das Malheur hatte, Chefredakteur des „Prager Tagblatt“ zu sein, erinnert sich nämlich jener Szene, da Dr. Kaufmann im Verein mit zwei anderen Abgesandten der Deutschen Fortschrittspartei – die, wenn das Gedächtnis nicht trügt, jetzt Deutschdemokratische Fortschrittspartei heißt – die unanständigste Pression auf die Führung des Blattes zu üben versuchte, weil das Blatt nicht kriegerisch genug, nicht inhuman genug, nicht genug tschechenfresserisch gewesen. Den eigentlichen Anlaß zum Protest dieser Fortschrittsmänner gab das Blatt dadurch, daß es das Freudengeheul der deutschradikalen Kriegsenthusiasten bei der Verurteilung Dr. Kramařs und Dr. Rašins zum Tode eine Barbarei genannt und sich ungefähr zu dem Gedanken bekannt hatte, es sei eine Schande, vor dem Galgen, der dem nationalen Gegner bestimmt ist, zu triumphieren. Die deutschen Herren Fortschrittsmänner, Dr. Kaufmann an der Spitze, und andere, deren Namen die Geschichte verschweigt, im Gefolge, haben keinen Pardon gekannt. Der Respekt vor dem Tod braucht daher die Achtung vor der Wahrheit nicht zu sagen hindern, daß die damals von den deutschen Fortschrittsmännern unternommene Drohung einem Erpressungsversuch schlimmster Art gleichkam. Die näheren Details der Geschichte gehören auf ein anderes Blatt. Aber der Schreiber dieser Zeilen empfand es als keinen Zufall, daß er, den der Zufall in den Tagen des Umsturzes nach Prag geführt hat, unter den deutschen Mannen, die das Treugelöbnis auf die Republik in tschechischer Sprache darbrachten, vor allem die tiefgebeugte Gestalt Dr. Friedrich Kaufmanns erblickte.

[Die Stunde, Jg. 4, Nr. 909, 20.3.1926, S. 5 (tsch.).]