Die Rache des Trottels.
Zu den Exzessen der deutschen Studenten in Prag

Es ist höchste Zeit, eine grobe Lüge zu berichtigen, eine Lüge, die im alten Österreich zum Schaden aller geduldet wurde, aber auch heute noch unter veränderten Verhältnissen fortwuchert: die Lüge vom deutschen Studenten in Prag. Das Bild, das die Welt von diesem Musensohn empfangen hat, war ein Produkt der liberalen Ära; in den Tagen, da die liberale Bourgeoisie die Politik der Deutschen in Böhmen regierte, stand auch die Prager deutsche Universität unter der Einwirkung einer geistigen Minorität. Wie an allen deutschen Hochschulen wurde zwar auch an der Prager Universität, die sich mit Stolz „die älteste“ nannte, dem historischen Possenspiel mehr als genug Zeit geopfert, daneben aber war doch noch jene Tradition aus den besseren Zeiten deutschen Studententums lebendig, die den Zusammenhang mit der Geschichte des deutschen Geistes aufrecht hielt und den akademischen Bürger davor bewahrte, einesteils ein armseliger Tropf von Berufsstudenten, andernteils ein verrohter Saufbruder zu werden. Diese Situation änderte sich indes vollkommen, als mit der Verdrängung der Gebildeten aus der Politik die politische Führung der Deutschen in Böhmen an den kleinbürgerlichen Radauantisemitismus überging. Hatten einst die Gebildeten des Bürgertums, Advokaten und Ärzte, Professoren und Industrielle, das politische Leben und damit auch das Denken der studierenden Jugend bestimmt, so erschienen jetzt ganz neue Repräsentanten auf dem Plan: die Stammgäste aus den Bierbeiseln deutschböhmischer Provinznester, politisierende Stadtschreiber, verdorbene Handwerker, die sogenannten Schriftleiter aus den Winkelblättern kleiner Städte, durchgefallene Studenten, die als politische Wanderlehrer ihr Fortkommen suchten, kurz, jene trostlose Gesellschaft, die mehr als zwei Jahrzehnte „deutsche Politik“ in Österreich gemacht hat. Ihr Erfolg war auch danach; wollte man die Schuldigen suchen, die das alte Österreich heruntergebracht und die Wirkung der Vernunft völlig unmöglich gemacht haben, dann müßte man vor allem jener Allianz von Dummheit, Arroganz und Verrohung gedenken, die sich im deutschen Lager zusammengefunden hatte.

Diese Phalanx wäre allein schlimm genug gewesen; das Unglück wollte es aber, daß sie einen mächtigen Bundesgenossen fand: die Wiener liberale Presse. Es wäre vergebens, den antisemitischen Schafsköpfen zu erklären, was diese Presse an den sudetendeutschen Radaunationalismus band; sie werden es nicht glauben, weil ihnen das Organ dafür fehlt. Ein großer Teil der Wiener liberalen Journalisten und Zeitungsmänner von den Zeiten der Lecher, Bacher, Benedikt und Singer bis in die jüngsten Tage stammte aus Böhmen und Mähren; sie hatten nicht nur die deutsche Bildung als das große Kulturelement kennengelernt, sie alle hingen mit schwärmerischer Liebe und Treue an Kindheits- und Jugenderinnerungen; die so schlecht gelohnte jüdische Sentimentalität, die Hinneigung zur alten Heimat, aber auch der höchst deplacierte falsche Ehrgeiz, einer „politischen Bewegung“ zu dienen, hat die Wiener liberale Presse verleitet, Anwalt und Schirmherr einer der schändlichsten Lügen der Geschichte zu werden. Es war eine Lüge, einen Pöbelaufstand mit der Gloriole nationalen Heldentums zu umgeben; ein Verbrechen, den Rache- und Machtbedürfnissen der rückständigsten Elemente geistige Hilfe zu leihen. Der sudetendeutsche Plebejeraufstand hatte das nächstliegende Kostüm gewählt; die Rebellion des Trottels gegen Geist, gegen besseres Fortkommen in der Welt, gegen soziale Höherwertigkeit maskierte sich national. Die Rebellierenden konnten doch wohl nicht die Wahrheit sagen, sie konnten nicht „im Namen des Trotteltums“ Rechte fordern; der Zufall, daß sie Dialekte, häßliche, korrumpierte Dialekte der deutschen Sprache sprachen, erlaubte ihnen, sich „Deutsche“ zu nennen und die – sprachlich übrigens alberne – Aufschrift „deutschvölkisch“ auf ihre Fahne zu heften. Daß diese Bewegung niemals national gewesen ist, geht aus einer einfachen Tatsache hervor: ihnen war der Begriff der Nation überhaupt nicht gegenwärtig, sie haben niemals im Sinne naiv-nationaler Völker an die Gemeinsamkeit aller Deutschen gedacht, sondern stets nur an den Staat, an den österreichischen Polizeistaat, dessen Gunst und Vorrechte zu erwerben das Um und Auf dieses lächerlichen Spektakels bildete. Der „Tscheche“, den sie den nationalen Gegner nannten, erschien ihnen als Konkurrent staatlicher Stellen. Der echte Haß aber richtete sich immer nur gegen den höherwertigen Menschen, gegen den Gebildeten, gegen den Bourgeois, gegen den Juden.

Wär’s anders, der Exzeß der Prager deutschen Studenten bliebe unerklärlich. Macht, Größe, wirtschaftliche und intellektuelle Bedeutung der Deutschen in Böhmen sänken bei Abzug des jüdischen Beitrages auf einen winzigen Bruchteil ihrer heutigen Werte herab; die deutschen Banken, die Industrie des Landes, der Handel sind zu zwei Dritteln in jüdischen Händen. Was aber wäre das deutsche Prag ohne Juden? Die Krawallmacher, die mit Hottentottenlärm wider den jüdischen Rektor der Prager deutschen Universität losziehen, ahnen wohl gar nicht, welches Los ihnen bevorstünde, wenn die deutschen Juden ihre Hand vom Prager Deutschtum wegzögen? Ihnen allen, die mit leeren Händen und vollen Mäulern das antisemitische Heldenspiel mimen, bliebe nichts anderes als die Diurnistenlaufbahn in tschechischen Staatsämtern, wenn sie nicht in völlige Barbarei versänken. Denn vor diesem Schicksal haben sie bisher nur die deutschen Juden bewahrt. Was im deutschen Prag mit deutscher Kultur, mit Bildung und Bedürfnissen der Zivilisation zusammenhängt, ist jüdischen Ursprungs: das Theater, das noch immer auf einer ansehnlichen Höhe steht; die großen Zeitungen; die Bildungsvereine; die humanen Anstalten – alles verdanken die Prager Deutschen jahrzehntelanger Treue und Arbeit der deutschen Juden. Die Frage, was die andere Seite für das Prager- und für das Sudetendeutschtum getan, bringt einen in die größte Verlegenheit. Man wird nicht einen namhaften Mann, nicht ein Werk zu nennen vermögen; ja, selbst die eine Zeitung, die man als den Anwalt der Krakeeler ansehen darf, wird von Juden gemacht.

Dieses Detail freilich gibt auch den Fingerzeig zum Verständnis: die antisemitische Rebellion der deutschen Studenten ist die Rache des Trottels, der dem Gefühl der Minderwertigkeit zu entrinnen sucht. Und es ist wichtig, es wirkt aufklärend, daß er so eindeutig die Maske lüftet. Das Geschwätz und Geschrei von „nationaler Unterdrückung“ war Maskerade: den tapferen deutschen Studenten geniert es gar nicht, daß der Staat seine Institute und Lehranstalten benachteiligt, daß er national zurückgesetzt und in seinen kulturellen Bedürfnissen auf ein Mindestmaß herabgesetzt wird: der Berufs- und der Saufstudent wird, wie er es im alten Österreich gewesen, auch im tschecho-slowakischen Staat ein folgsamer Polizeiknecht und Diurnist werden; sein Nationalismus ist die größte Lüge. In leidenschaftliche Aufwallung, in Rage und Aufruhr bringt ihn nur die Tatsache, daß über ihm eine geistige Welt existiert, die ein jüdisches Antlitz trägt. Die Rache des antisemitischen Trottels ist eine Rache am Geist.

[Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, Jg. 60, Nr. 45, 20.11.1922, S. 4 (Karl Tschuppik).]

Der Fall Steinherz. Ein Shylock als Universitätsprofessor

An der Prager deutschen Universität bestand bisher die Gepflogenheit, daß jüdische Professoren, wenn bei der Rektorswahl die Mehrzahl der Stimmen auf einen von ihnen fiel, auf die Annahme der Wahl verzichteten. Sie taten dies aus Rücksicht auf den heißen Prager Boden, der es erheischte, daß der deutschen Universität die unter den gegebenen Verhältnissen und bei den herrschenden Stimmungen schwere Belastung eines jüdischen Rektors erspart bleibe. Bei dem Usus kamen alle Teile gut weg: der Friede unter Professoren und Studenten blieb gewahrt, die nationalen Interessen und Imponderabilien blieben unberührt, und der Ehrgeiz der jüdischen Professoren kam auf seine Rechnung, denn solange man auf ihren Takt bauen konnte, war ihnen fallweise die formelle Wahl sicher.

Der jüdische Professor Dr. Steinherz, dem bei der letzten Rektorswahl die Mehrzahl der Kollegen im Vertrauen darauf, daß er an der Tradition nicht rütteln werde, die Stimmen zugewandt hatten, enttäuschte dieses in ihn gesetzte Vertrauen, er setzte es sich in den Kopf, nicht nur zum Rektor gewählt zu werden, sondern es auch zu sein. Und wegen der Taktlosigkeit und des shylockartigen Starrsinns dieses einen Juden mußte der Frieden an der deutschen Universität in Fransen gehen, die Vorlesungen mußten sistiert werden, Professoren und Studenten sind in die bösesten Konflikte, Schwierigkeiten, Verbitterungen, Parteiungen geraten, das Ansehen der Universität ist durch die Schreibknechte des halsstarrigen Juden, dessen Ehrgeiz weder Erwägungen des Taktes noch des Interesses der Universität – von dem des Deutschtums, zu dem sich Dr. Steinherz zu bekennen behauptet, gar nicht zu reden – in der marxistischen und freisinnigen Judenpresse nicht nur der Tschecho-Slowakei, sondern fast der ganzen Welt in der unerhörtesten Weise beschmutzt worden, selbst die Existenz der deutschen Hochschule in Prag wird in einzelnen Blättern der nationalen Gegner, denen die Wirren an der deutschen Universität ein gefundenes Fressen sind, um den schulpolitischen Vernichtungskrieg gegen die Deutschen auch auf die älteste deutsche Universität auszudehnen, mit der Ankündigung bedroht, man werde die Gelegenheit zur Umwandlung der deutschen in eine Universität der nationalen Minderheiten ausnützen! Und das alles wegen der rechthaberischen Bockbeinigkeit eines ehrgeizigen Juden, der auf dem Schein seiner Wahl besteht und seinen Willen der Universität aufzwingen will, unbekümmert darum, was daraus wird.

Wäre der Fall Steinherz kein „interessanter“, nämlich kein jüdischer Fall, sondern wäre der Held der Affäre ein nichtjüdischer Professor, so würde mit ihm nicht viel Federlesens gemacht werden. Gerade die Judenpresse, groß und klein, würde über den Mann herfallen, ihn als Verrückten behandeln und ihn in allen Tonarten verspotten und verhöhnen. Wie mancher deutsche Gelehrte, der seine Persönlichkeit in weit bescheidenerem Maße als Steinherz an minder wertvollen Interessen zu messen wagte, als es das Ansehen der Prager deutschen Universität und Wahrung des Friedens an dieser Hochschule ist, hat schon Bekanntschaft mit den erwähnten Methoden der – Linkspublizistik machen müssen. Aber weil der Fall Steinherz ein jüdischer Fall ist, gibt es einen Generalaufmarsch der gesamten „jüdisch orientierten“ Presse aller Zungen für den einen jüdischen Professor und gegen die deutsche Universität bezw. gegen ihre deutschen Professoren und Studenten! Neben dem vermeintlichen Judeninteresse oder Judenprestige kommen andere Rücksichten gar nicht mehr in Frage, über alles geht ungeschaut die Solidarität mit dem einen Juden, einerlei, wer er ist, wie er heißt und wie er sich aufführt. Ob zionistisch oder assimilant, ob kapitalistisch oder proletarisch, liberal oder marxistisch, reaktionär oder bolschewistisch – es ist eine Einheitsfront aller Richtungen und Schichten, aller Riten und Sprachen, die Einheitsfront der jüdischen Seele. Der Fall ist geradezu ein Schulbeispiel, geeignet, die Blindesten und Ahnungslosesten unter uns Nichtjuden über den Stand der Dinge in der Welt, über das Parteiwesen und über die Pressefrage sowie über die Pflichten, die den Nichtjuden aus dem Steinherz-Exempel erwachsen, zu belehren. Es ist der klassische Fall vom „jüdischen Hühnerauge“.

Auf Einzelheiten der publizistischen Weltkakophonie einzugehen, die sich auf die Prager deutschen Professoren und Studenten ergoß, besteht keine Nötigung. Wenn die Wiener deutsche Studentenschaft, die selbstverständlich ihren Prager Kommilitonen Solidarität bekundet, gegenüber einem Wiener jüdischen Montagsblatt, das den Masarykbewunderer Karl Tschuppik, einen im Preßgetto robotenden Nichtjuden aus dem Böhmerland, gegen die Prager deutschen Studenten losließ, eine Ausnahme macht, so geschieht es wohl nur, weil dieser Assimilationsarier, dem es so häufig gelingt, die gebornen Nichtarier im Wettlauf um den prägnantesten Ausdruck der jüdischen Mentalität zu schlagen, auch diesmal einen Rekord in der Besudelung der deutschen Jugend aufgestellt hat. Diese Tatsache quittiert nun die Wiener deutsche Studentenschaft mit nachfolgendem „den Deutschen“ gewidmeten Aufruf, um dessen Veröffentlichung die „Reichspost“ ersucht wurde:

„Jüdische Frechheit wagte in der ,Sonn- und Montagszeitung“, Folge 45 vom 20. November 1922, den Kampf unserer deutschen Kommilitonen in Prag gegen einen jüdischen Rektor als ,Rache des Trottels‘ zu bezeichnen. Ein Aufsatz dieses Inhaltes kann uns nicht beleidigen, doch fordern wir euch auf, dieses Kulturdokument im Gedächtnis zu behalten. Ihr könnt daraus ersehen, was eure Söhne und Brüder, und damit auch Ihr, in jüdischen Augen seid. Mag man auch unser Ringen ,Die Rache des Trottels‘ heißen: werden wir wiederum Deutsche! Gehen wir den harten, dornenvollen Weg, der uns zu diesem Ziele führt! Unseren Brüdern in Prag deutsche Treue!

Für die deutsche Studentenschaft der Universität Wien: cand. phil. Hans Kinzl, cand. rer. pol. Walther Kolbe.“

[Reichspost, Jahrgang 29, Nr. 313, 23.11.1922, S. 6 (anonym).]

Die Wahrheit über „Deutschböhmen“. Die Hintergründe des antisemitischen Spektakels

Ein kluger Beobachter und politisch denkender Mensch hat kürzlich die vermittelnde Rolle der Deutschen in der Tschecho-Slowakei hervorgehoben und den anscheinend paradoxen Satz aufgestellt, die deutsche Sprache habe innerhalb der Tschecho-Slowakei ein größeres Geltungsgebiet, als sie es in Österreich-Ungarn hatte. Die Behauptung klingt unwahrscheinlich, sie stützt sich aber auf eine einfache Wahrheit, auf die Tatsache nämlich, daß überall dort, wo ehedem das Ungarische als die vermittelnde Sprache Geltung hatte, heute das Deutsche an dessen Stelle tritt. Der Vorgang vollzieht sich unabhängig von politischen Strömungen und Stimmungen, nach einem natürlichen, mechanischen Gesetz. In der Slowakei wie im ganzen Osten der tschecho-slowakischen Republik greifen Slowaken, Ruthenen, Polen und Ungarn nach dem Deutschen als dem alten Verständigungsmittel des Ostens, als der einzigen Sprache, die allen Völkern der Tschecho-Slowakei gemeinsam ist. Dieser Prozeß geht seinen Weg, ohne daß die Deutschen der Tschecho-Slowakei sich dessen bewußt wären; die deutsche Sprache breitet sich sozusagen ohne Wissen der Deutschen, ja, man kann sagen, gegen deren Willen aus. Denn sofern man die Deutschen der Tschecho-Slowakei nach ihrer Politik beurteilen darf, gewinnt man den Eindruck, daß sie für derlei Vorgänge nicht nur kein Verständnis haben, sondern alles tun, die natürliche Expansionskraft des Deutschen, als der Sprache und Gedankenwelt eines Siebzigmillionenvolkes, zu verringern und zu lähmen. Es ist deshalb falsch, zu meinen, daß etwa der Exzeß der deutschen Provinzstudenten an der Prager Universität, die von den sogenannten „Deutschböhmen“ nun auch nach Wien übertragen [wird], nur eine zufällige Episode, eine Unart „jugendlicher Elemente“ sei; das Motiv steckt tiefer; der Sturm im Wasserglas der Prager Universität zeigt dieselben Symptome, die der deutschen Politik eigentümlich sind: die Unfähigkeit zur kulturellen Mission.

Diese Eigenschaft hat das Verhältnis der Deutschen Böhmens zum alten Österreich bestimmt und ist erst recht maßgebend für ihre Beziehung zum neuen Staat. Das Wort von der „Mission“ Österreichs war ein viel mißbrauchter und entstellter Begriff, ebenso mißbraucht und mißdeutet wie Palackys oft zitierter Satz vom Staat, den man erfinden müßte, wenn er nicht wäre. Aber sofern den Deutungen ein Sinn innewohnte, konnte es nur dieser sein, daß Völker, die selbständig nicht leben können, innerhalb eines großen Wirtschaftsgebiets eine Ordnung gegenseitiger Duldung aufzubauen gehabt hätten. Diese Ordnung war nur unter Verzicht auf eine politische Vormachtstellung der Deutschen möglich, dafür aber fiel den Deutschen als natürliche Folge ihres Übergewichts die Bedeutung der Sprache und der großen Zivilisation zu. Mit anderen Worten: Die Deutschen hatten die Mission, nicht politisch, sondern kulturell wirksam zu sein, eine Aufgabe, die nur von Wien erfüllt worden ist. Dieses unpolitische und daher anziehende, große alte Kulturzentrum hat für die deutsche Kultur tausendfach mehr getan als sämtliche deutschen Parteien, Politiker und Nationalisten zusammen. Der deutsche Nationalismus wirkte zerstörend, unfähig, die kulturelle Mission der Deutschen und die historische Rolle Österreichs zu verstehen, hat er in seiner völligen Blindheit Österreich das Grab geschaufelt.

Er begeht den alten Fehler nun zum zweiten Male, als ob er die Richtigkeit des alten Hegelschen Satzes erweisen wollte, daß sich auch die historischen Dummheiten stets noch einmal wiederholen. Die Stärke des Deutschtums der Tschechoslowakei ist der Wirtschaft und der überragenden Geltung der deutschen Sprache geschuldet, zwei Tatsachen, an denen das nationalistische Deutschtum den geringsten Anteil hat. Denn die Höhe der deutschen Industrie und des Handels wie auch die Pflege und Erhaltung des Geltungsgebiets der deutschen Sprache sind ohne die Mitarbeit der deutschen Juden kaum vorstellbar. Es ist nicht hier der Ort, die sozialen Wurzeln eines Nationalismus näher zu untersuchen, dessen einzige Manifestation der Antisemitismus bildet; aber es wirkt jedenfalls grotesk, wenn die Helden der deutschböhmischen Provinz in Prag antisemitische Spektakel inszenieren. Denn dort ist die Geltung der deutschen Sprache ausschließlich der Tatsache zu danken, daß das Prager Judentum sich ihrer bedient. Die natürliche Aufgabe der Deutschen in der Tschechoslowakei müßte in erster Linie darauf gerichtet sein, die Vorteile der sprachlichen Überlegenheit wahrzunehmen, die kulturellen Positionen zu halten und zu fördern, vor allem also auch den Hochschulen eine anziehende Kraft zu geben, die über Böhmen hinaus auf alle Völker wirkt, welche im Geltungsbereich des Deutschen liegen und dieser Sprache als des nächstliegenden Verständigungsmittels bedürfen. Die Deutschnationalen wählen den anderen Weg: Ihr Ziel ist es, alles Deutsche so abstoßend als möglich zu machen; die alliierte Riesenfeindschaft, die dem Deutschen insgesamt Herrschsucht, Machtwahn, Unduldsamkeit und Inhumanität vorwirft, diese Feindschaft soll recht haben: die Deutschböhmen bejahen das Teufelsbild und schreien aus voller Kehle: Jawohl, so sind wir, wehe dem, der nicht gegen uns ist!

Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß sie ihr Ziel erreichen werden; früher vielleicht, als ihnen lieb sein wird. Der tschechische Nationalismus macht heute eine Wandlung durch, die deutlich erkennen läßt, daß Kinderkrankheiten zu überwinden sind. Er vermindert seine Abwehrenergien und pflegt umso mehr sein Talent, Fremdes anzuziehen. Das von Deutschen oft belächelte Bemühen, Prag alle Vorteile einer großen Stadt zu geben, es zu europäisieren und zu internationalisieren, wird über kurz oder lang Früchte tragen. Das allgemeine Übergewicht der deutschen Sprache hört dort auf, wo im besonderen nichts dazu getan wird, deren anziehende Kraft zu fördern. Die Deutschen Böhmens haben sich stets sehr wenig um die kulturellen Aufgaben ihres Volkes bemüht; was in der Kunst, in der Wissenschaft Geltung und Namen hatte, war jüdischen Ursprungs. Die Verhältnisse ändern sich aber von Tag zu Tag. Der kulturelle Ehrgeiz der Tschechen, ihr rapider Aufstieg bringt es mit sich, daß nicht nur die tschechische Kunst heute einen größeren Vorsprung hat, auch ihre wissenschaftliche Tätigkeit eilt mit Riesenschritten vorwärts. Ein Blick auf Prag, ein Besuch der tschechischen Bühnen, der tschechischen Kunstausstellungen, das Bild der neuen tschechischen Literatur, der rege Aufschwung des Buchhandels – all dies müßte einen wahrhaft nationalen Deutschen zu ernstestem Nachdenken zwingen. Die Illusion von der geistigen Ebenbürtigkeit der Deutschen Prags halten die deutschen Juden aufrecht. Zieht man, nach dem Wüten des deutscharischen Antisemitismus, diesen Beitrag von der deutschen Gesamtleistung ab, dann wird sich als nackte Wahrheit herausstellen, daß dieser großmäulige Nationalismus die Kultur von Böhmisch-Leipa und von Trebnitz, von Wegstädtl und Lewin, von Komotau, Kaden und Gastorf vertritt; eine Kultur, die aus phrasendreschenden Spießern und randalierenden Studiosen besteht.

[Die Börse, Jg. 3, Nr. 48, 30.11.1922, S. 17 (Karl Tschuppik).]

Man neckt uns in Asch

Wir hatten einen Geographie-Professor – es war in den Neunzigerjahren –, der meinte, Asch entschuldigen zu müssen; die Stadt, sagte er, liege zwar im Königreich Böhmen, aber so nahe der Grenze, daß sie bei der geringsten Bewegung ausrutsche und dann drüben sei. Wenn die Ascher aus dem Fenster blickten, so blieben sie mit dem Hintergestell im Lande; mit dem Kopf und dem Herzen waren sie drüben. Das alte Österreich hatte sein Gfrett mit den Aschern. Ihnen war es auf keinerlei Art recht zu machen. Schon im Jahre 1848, als die Frankfurter Nationalversammlung den großdeutschen Traum verwirklichen wollte und den nichtdeutschen Volksstämmen Österreichs die vollste Freiheit der Entwicklung auf dem Boden des Deutschen Bundes versprach, da war es der Abgeordnete von Asch, der sehr erbost gegen die „Begünstigung der Slawen“ wetterte und dem „nationalen Feind“ das gleiche Recht nicht zugestehen mochte. Aus dem großdeutschen Traum ist nichts geworden, aber mit der kleindeutschen Lösung waren die Ascher erst recht nicht zufrieden. Der Winkel von Asch wurde der nationalistische Wetterwinkel Österreichs. Dort zogen sich jene Donnerwetter zusammen, die dann krachend in Deutschböhmen niedergingen und in der deutschtümelnden Presse Wiens ihr pathetisches Echo fanden. (Sähen die Bacher und Benedikt, wie ihr teutonisches Bemühen belohnt wurde, sie müßten sich vor diesem Dank vom Hause Germanias im Grabe umdrehen.) Die Ascher haben mit dem ewigen Krakeel unmittelbar zwar nichts erreicht; das alte Österreich ist zerfallen, und sie selber gehören heute der tschechoslowakischen Republik an. Als Entgelt dürfen sie aber stolz darauf sein, daß ihr Geist Deutschland erobert und all das, wonach sie sich so viele Jahrzehnte gesehnt, drüben die Erfüllung gefunden hat. Es steckt vielleicht ein tieferer Sinn darin – die Hegelianer der deutschen Geschichtsbetrachtung mögen sich darüber die Köpfe zerbrechen –, daß die Erneuerung und eigentliche Vollendung Preußen-Deutschlands von der Stadt mit dem onomatopoetischen Namen ausgegangen ist. Die Schönerer, Bareuther, Iro und Tins haben es immer gesagt: Am Ascher Wesen wird Deutschland genesen. Die geschichtliche Wahrheit fordert es, zu sagen, daß das Dritte Reich ohne Asch und seine Männer gar nicht denkbar wäre. In den alten Jahrgängen der „Unverfälschten deutschen Worte“ ist das Deutschland von heute bereits enthalten wie das Huhn im Ei. Nur muß man den Männern von Asch zugestehen, daß sie ihre Schüler und Plagiatoren an Originalität weit übertroffen haben, wie denn auch neben den Stilisten des Hakenkreuzes die Schriftleiter des Asch-Bezirks als Herder und Schiller erscheinen.

Kein Zufall danach, daß das Geheimnis der nächsten Zukunft Deutschlands in Asch liegt. Es nützt nichts, sich dagegen zu sträuben, und wenn Herr Alfred Rosenberg den Mythos auch auf anderem Wege sucht: Asch ist der Nabel der deutschen Welt; Asch ist die produktive Stätte der ewigen Erneuerung germanischen Wesens. Er, der Gründer der Sudetendeutschen Front, der Vollstrecker des Ascher Gedankenguts und Willens, Herr K. H., ist, so bekennen es heute schon die Getreuesten, noch viel bedeutender. Nach der Geschichtsphilosophie von Asch verhält es sich nämlich so, daß das Ahnen und Sehnen des Volks zwar untrüglich, die Auffindung des Ganz-Großen aber an eine gewisse Zeit gebunden sei; der Ganz-Große bedürfe des Vorbereiters und Wegeebners, um dann, im strahlenden Licht der letzten Erweckung, auf den Thron zu steigen. Konrad Henlein, der Ascher Turnrat, ist, so sagen es alle, die ihn kennen, viel bedeutender; er hat die tiefe Kniebeuge zur Grundhaltung des deutschen Bewußtseins erhoben – Hände in die Seite, Kopf in Asch.

Umso bedauerlicher, daß sie, die Ascher, Österreich so gram sind. Im Gegensatz zu drüben, wo mit schwerem Geschütz geschossen wird, halten sie es mit den leichten Waffen des Witzes und der Satire. Vor uns liegt die August-Nummer der „Satirischen Monatsschrift der Sudetendeutschen“, „Der Igel“, von deren zwölf Seiten vier Österreich gewidmet sind. Das Titelblatt zeigt den Österreicher, tief gebückt vor dem Hermelin der Habsburger, und der Witz besteht darin, daß der Hermelin gestopfte Löcher aufweist. Ein ganzes Panorama „O du mein Österreich!“ läßt den Wirrwarr, die Rauflust und den Spektakel im Donauland sehen. Die Wahrheit der satirischen Berichterstattung erkennt man am besten aus dem Bilde, das ein völlig leeres Alpenhotel darstellt, vor dem die sehnsüchtig nach Bayern blickenden Wirtsleute traurig stehen. Genau so war’s, wie wir wissen, diesen Sommer in den österreichischen Alpen! Auch mir widmet der „Igel“ ein Stück seines Papiers. Ich bin zwar nicht böse; ich geniere mich nicht, meine Ansicht über den Teutonismus der Sudetendeutschen zu sagen, also muß ich auf Antworten von dort gefaßt sein. Die „Elegie“, die mir das Blatt schrieb, zeigt aber, auf welcher Tatsachenkenntnis die sudetendeutsche Polemik ruht. Drum setze ich die letzten Strophen her:

Wenn es in Österreich nicht klappt,
Wenn Mussolini Schuschnigg schnappt,
Wenn Zita an der Grenze tänzelt,
Und Starhemberg vor Otto schwänzelt,
Dank Tschuppiks Feder
Weiß jetzt ein jeder,
Daß Unheil, gleichviel wie es heißt,
Entspringt sudetendeutschem Geist.

Es gibt für jene Unglücksmänner,
So sagt Herr Tschuppik nämlich, wenn er
Mit seinem Eigengeist uns blendet,
Nur einen Weg, der glücklich endet.
Man lasse sich

Unweigerlich
Um nicht als Wilder zu verrecken,
Von Wiener Hochkultur belecken.

Herr Tschuppik selber lebt in Prag,
Wahrscheinlich, weil er Wien so mag,
Ich glaube gar, er hat die Leitung
Einer sudetendeutschen Zeitung.
Da schrieb er wohl
Den ganzen Kohl
Der Wiener Zeitung nur im Scherze?
Na ja … Zum Wohl! Prost Druckerschwärze!

Jost Kren

Das alles stimmt so wie der Hohn über Österreichs Fremdenverkehr 1935, es ist so exakt wie alles, was der nazistische Ernst und Witz von Österreich zu melden weiß. Vom Ascher Igel auf den deutschen Aar schlüssig projiziert, kommt bei dieser Exaktheit und Tatsachenkenntnis die neue deutsche Wissenschaft heraus. Sie basiert bekanntlich auf dem „Gefühlsmäßigen“. Und dieses Gefühlsmäßige – was bedeutet es?: die Abwesenheit der Wahrheit.

[Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, Jg. 73, Nr. 35, 2.9.1935, S. 6 (Karl Tschuppik).]